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Rachel Morend

Eine handgeschmiedete Kuhglocke verwandelt sich in einen Fonduetopf. Drei handgeschmiedete Fonduegabeln drehen sich langsam darin, während das Brot überläuft, verfault und verrottet.

Diese Installation erinnert an das Wesen der alten Schweiz – ein Land, das für seine Kuhglocken, seinen Käse und seine altbewährten Gesten bekannt ist. Alles wirkt vertraut und doch beunruhigend. 

Eine vom Publikum aktivierte Klanginstallation mit dem Titel „DECAY” (Verfall) untersucht das Zusammenspiel von Folklore und Verfall. Das Werk inszeniert die Symbole der Geselligkeit und nationalen Identität neu, wobei der Akt des Teilens automatisiert wird und die Tradition in einer absurden Schleife erstarrt. Unter der vertrauten Oberfläche aus Metall und Brot zerfällt etwas – langsam, ähnlich wie eine alte Gewohnheit, die wir aus Reflex beibehalten, eine alte Schweiz, die wir immer noch tief schätzen.

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Decay

KunstTank Simplon-Dorf

Rachel Morend, aufgewachsen im Val d’Hérens, ist nicht nur Künstlerin, sondern auch Bäuerin – tief verwurzelt in der Erde, die sie bearbeitet, und in der Kultur, die sie prägt. Ihr Wesen ist durchdrungen von einer ansteckenden Positivität, von Leichtigkeit und Humor. Sie lacht oft, nimmt sich selbst nicht allzu ernst – und doch blickt sie mit wachem, klarem Auge auf das, was sie umgibt. Diese Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Arbeit: eine Kunst, die geerdet

ist, aber nie stillsteht; die lacht, aber nachdenkt; die provoziert, aber nie mit erhobenem Zeigefinger.

Für den Kunstdank in Simplon-Dorf hat Morend eine klingende Skulptur geschaffen – eine umgekehrte Kuhglocke, die zugleich ein Fonduecaquelon darstellt. Zunächst wollte sie, ganz handwerklich, Kuhglocken schmieden – ohne an Kunst zu denken. Doch mit der Einladung nach Simplon, an der Grenze zu Italien, wuchs die Idee, das wohl schweizerischste Objekt in eine andere, doppeldeutige Form zu verwandeln.

So entstand DECAY: Ein Fondue-Set aus Metall, in dem drei von Morend handgeschmiedete Fonduegabeln rhythmisch kreisen. Ihr gleichmäßiger Klang erinnert an das Ticken einer Schweizer Uhr – an jene präzise, fast mythische Ordnung, die dem Selbstbild des Landes eingeschrieben ist. Gleichzeitig ruft die Zahl Drei den Rütlischwur auf, das Gründungsmythos der Eidgenossenschaft. In dieser stillen, humorvollen Choreografie verwebt Morend Symbole von Identität, Gemeinschaft und Tradition zu einem poetischen Kommentar über das Selbstverständnis der Schweiz.

Rund um und im metallenen Caquelon liegt Brot – ein scheinbar alltägliches, aber zentral gesetztes Element. Im Verlauf der dreimonatigen Ausstellung beginnt es zu altern: es trocknet, verhärtet, schimmelt, verändert seine Farbe. Diese langsame Transformation wird zum Spiegel einer Nation, die sich ebenfalls stetig verändert – mit ihren Menschen, Werten und Bedürfnissen.

Wo verläuft die Grenze zwischen Heimat und Klischee, zwischen Brauchtum und Folklore? Wann wird aus Tradition Stillstand?

Morend spielt mit diesen Fragen, ohne sie laut auszusprechen. Ihr Humor ist sanft, ihre Ironie fein dosiert. Politische Gedanken finden ihren Weg in die Arbeit, doch nie als Anklage, sondern als subtile Schwingung, eingewoben in Form, Material und Bewegung.

DECAY ist ein Werk über Wandel – über das, was bleibt, und das, was sich zersetzt. Zwischen Folklore und Korrosion, zwischen Klang und Stille, zwischen Brot und Metall entsteht ein Raum der Reflexion. Das Werk spricht von der Schweiz und zu den Schweizern – mit einem Augenzwinkern, aber auch mit einem tiefen Verständnis für die fragile Balance zwischen Identität und Veränderung.

 

Glis, im November 2025

Helga Zumstein

Kuratorin und Künstlerin

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